Auf dem richtigen Weg von Schangia (Wichtelgeschichte für Puppenspieler) ================================================================================ Kapitel 1: One Shot ------------------- Es war schon eine Weile her, dass die Jungs von Growth einen Job zusammen mit einer anderen Gruppe hatten, also freuten sie sich umso mehr darauf, an diesem Tag mit Soara arbeiten zu können. Vorgestern waren sie gemeinsam nach Hokkaidou gereist, um dort im Zeitraum von einer Woche Events zu besuchen, als Gäste in Fernsehprogrammen aufzutreten, ein Fotoshooting abzureißen, eine Folge für ihren Podcast zu drehen und was auch immer Nozomu sonst noch in den Sinn kam. Ihr Zeitplan war wie üblich ziemlich eng und ließ wenig Möglichkeiten zu, den Norden Japans einfach nur so zu genießen, aber sie hatten alle vor, das Beste daraus zu machen. Heute hatte es sie nach Furano verschlagen, genauer gesagt zu einem der vielen Maisfelder der Region. Ryouta war nicht unbedingt ein Freund von Farmen, aber Job war Job, also galt es, vor den Kameras ein Lächeln im Gesicht zu behalten. Diese ganz besondere Farm hatte sich wohl daran versucht, eines der Maislabyrinthe nachzuempfinden, die in den USA so unglaublich beliebt waren, und hatte damit seitdem viele Touristen angelockt, vor allem Familien mit kleinen Kindern. Warum genau ihre Agentur es für klug erachtet hatte, zwei ihrer Idolgruppen dorthin zu schicken, war ihm schleierhaft, aber er konnte zumindest nachvollziehen, warum sie Growth und Soara geschickt hatten. Weder Solids noch Quell hätte er sich in diesem Setting vorstellen können - und das trotz Tsubasa und den Zwillingen. Während Ryouta also an diesem für Hokkaidou ungewöhnlichen heißen Vormittag nahe einer Farm gute Miene zum bösen Spiel machen musste, würden Mamoru, Soushi, Mori und Ren in einem Studio in der Innenstadt zu Gast bei einer Talk Show sein, deren Aufnahmestudio natürlich voll klimatisiert war und nicht nach Kuhmist roch. Innerlich seufzend begann er, die Minuten zu zählen, die für diesen Job noch verplant waren, und ließ währenddessen den Blick schweifen. Sora, Nozomu und Kensuke standen seit geraumer Zeit zusammen und redeten sehr laut über etwas, das ihn nicht wirklich interessierte. Kouki besprach die letzten Details mit dem Produzenten ihres heutigen Abenteuers und war damit wieder der einmal der Einzige, auf den Ryouta sich verlassen konnte. Wenige Augenblicke später verbeugte Kouki sich leicht und kam dann auf ihn zu, die Stirn leicht in Falten gelegt. Ryouta lächelte schief. »Und? Welche Anweisungen haben wir bekommen?« »Wir sollen einfach mal machen.« Ryouta holte tief Luft und warf erneut einen Blick auf die drei anderen, die viel zu aufgeregt für das scheußlich warme Wetter wirkten. Nozomu konnte nicht einmal mehr still auf der Stelle stehen, sondern wippte von einer Seite zur anderen. »Wird schon schiefgehen.« Kouki nickte zwar, schien aber nicht sonderlich überzeugt. Konnte er ihm nicht verübeln. Ihre Aufgabe würde es sein, das Labyrinth zu betreten und hoffentlich innerhalb der vorgegebenen Zeit am Ausgang anzukommen. Sie wussten nicht einmal, ob sie als Gruppe antreten sollten oder jeder für sich; auf der einen Seite gab es einen Preis für den Ersten, der das Labyrinth bezwang, doch man hatten ihnen ebenfalls gesagt, sie sollten vorsichtig sein und sich nicht trennen. Ryouta war wirklich kein Fan von so unausgegorenen Angaben, aber was sollte er schon groß machen? Schließlich war es an der Zeit für sie, sich vor dem Eingang aufzustellen und darauf zu warten, dass die Dreharbeiten begannen. Ryouta lauschte nur mit halbem Ohr, als der Moderator des Programmes sie ankündigte und den Zuschauern erklärte, warum es eine gute Idee war, fünf Idols durch einen Irrgarten aus unfertigem Popcorn zu jagen. Das Lächeln auf seinen Lippen war täuschend echt, wenn auch ein klein wenig angestrengt, sowie der Moderator sich zu ihnen drehte und sie fragte, ob sie bereit wären, sich dieser Herausforderung zu stellen. Er wartete jedoch nicht einmal eine klare Antwort von allen ab, sondern nickte eifrig und gab ihnen dann das Startsignal. Sora und Nozomu sprinteten sofort los und rannten laut brüllend und Seite an Seite in das Labyrinth. Sie sahen ihnen einige Sekunden lang verwundert nach, bis sie sich schließlich ebenfalls in Bewegung setzten - sehr viel gemächlicher als die anderen beiden - und diese lächerliche Monstrosität betraten. Ryouta überlegte sich indes schon einmal, wie er sich am besten bei Soushi und Mori entschuldigen konnte, dass sie ohne den Rest ihrer Band wiedergekommen waren, während der vermutlich irgendwo zwischen Maiskolben dahinvegetierte. Es überraschte Ryouta ein wenig, dass Kensuke den anderen beiden nicht blind hinterhergerannt war, sondern sich stattdessen brav an ihrer Seite hielt. Andererseits bedeutete das aber auch, dass sie ihn besser im Auge behalten konnten und somit die Chance geringer war, dass Kensuke irgendetwas kaputt machte. Hatte also alles seine Vor- und Nachteile, dachte Ryouta sich, als sie in nicht allzu großer Ferne hören konnten, wie Sora und Nozomu aufschrien. Vielleicht war es Soushi und Mori doch recht, wenn sie die beiden einfach hier ließen. Einige Minuten lang gingen sie gemächlich durch die von hohen Maiskolben gesäumten Gänge. Ryouta wollte diesen Job zwar schnell hinter sich bringen, aber er musste zugeben, dass es eigentlich ganz angenehm war, sich im Labyrinth aufzuhalten. Die Pflanzen spendeten genug Schatten und schafften es auf magische Art und Weise, den Gestank der Farm zurückzuhalten. Glücklicherweise war ihm bisher auch noch kein Käfer über den Weg gekrabbelt. Zunächst gab es nur einen Weg, dem sie folgen konnten, also blieben sie etwas ratlos stehen, als sie plötzlich an einer Weggabelung ankamen. »Und welchen Weg sollen wir wählen?«, fragte Kouki, nachdem sie eine Weile auf die zwei Wege vor ihnen gestarrt hatten. Ryouta legte den Kopf schief. »Ich hab mal gehört, dass man sich in Labyrinthen immer rechts halten soll.« Kensuke grinste breit. »Dann sollten wir links gehen!« »Möchtest du uns auch sagen, wie du zu dem Schluss gekommen bist, Ken?« »Weil Nozomu und Sora das bestimmt auch gemacht haben!« Für Ryouta war das Grund genug, eben doch nach rechts zu gehen, doch Kensuke ließ sich nicht beirren. »Ich hab das Gefühl, dass sie auf dem richtigen Weg sind, also müssen wir zu ihnen aufschließen! Immerhin ist das ein Wettstreit.« »Es ist ein Maislabyrinth. Selbst Kinder finden den Weg nach draußen«, bemerkte Ryouta trocken. »Vielleicht fehlt dir einfach nur ein wenig kindliches Staunen, wie bei Disney!« »Wenn du jetzt anfängst zu singen...« »Wieso denn nicht?« »Weil das hier keine Musicalnummer ist, bei der die Hauptdarsteller plötzlich in Arien ausbrechen!« Als er sah, wie Kensuke tief Luft holte, war er kurz davor, ihm einen Klaps auf den Hinterkopf zu geben. »Untersteh dich, Ken!« »Oller Spielverderber.« Schmollend schob Kensuke die Unterlippe vor und sah hilfesuchend zu Kouki, der sich jedoch aus ihrer Diskussion heraushielt. Dann seufzte er und fasste sich unnötig theatralisch an die Stirn. »Schon verstanden, mein jugendlicher Freigeist ist hier anscheinend unerwünscht. Aber ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt!« »Wo willst du hin, Ken?« Kouki war weitaus überraschter als Ryouta, dass Kensuke allein weitergehen wollte. »Zum Ausgang, wohin denn sonst? Nozomu und Sora sind mir weit voraus!« So sicher war Ryouta sich da nicht, aber er sagte nichts weiter. »Ich finde den Ausgang auch ohne euch, und wenn es soweit ist, werde ich den Preis nicht mit euch teilen!« Damit stürmte er nach links und war schon bald hinter einer Ecke verschwunden. Sie sahen ihm einige Augenblicke lang nach, einer besorgter als der andere. Wenn er so scharf darauf war den Preis zu gewinnen, sollte er es ruhig ohne sie versuchen. Ryouta ging sowieso davon aus, dass es sich bei diesem ominösen Preis um Mais handelte. »Den sehen wir nie wieder. Vermutlich verendet er in diesem Labyrinth«, sagte er irgendwann, worauf Kouki die Stirn leicht in Falten legte. »Sag doch sowas nicht.« »Keine Sorge, wir können ihn leicht ersetzen. Wolltest du nicht auch schon immer einen Welpen haben? Dem können wir wenigstens einfach die Schnauze zuhalten, wenn er nicht still sein will.« »Es wäre wirklich schön, einen Hund mit dir großzuziehen.« Das Lächeln auf Koukis Lippen überraschte ihn zuerst, aber er erwiderte die Geste schnell. »Finde ich auch.« Sie entschieden sich dafür, den Weg nach rechts einzuschlagen und liefen eine Weile in ruhigem Tempo weiter. Es brachte ja doch nichts, sich zu hetzen. Ab und an hörten sie gedämpfte Schreie, die sie jedoch beide zu ignorieren gelernt hatten. »Kou, hast du genug getrunken, bevor der Dreh angefangen hat?«, fragte er irgendwann, als ihm wieder bewusst wurde, dass es trotz des angenehmen Schattens immer noch Sommer war. »Wenn du Durst bekommst, sag mir Bescheid.« Kouki lächelte leicht. »Mache ich. Danke, Ryou.« Es war eigentlich gar nicht so schlecht, dieses Labyrinth. Zumindest konnten sie ein wenig Zeit zu zweit verbringen; etwas, das Ryouta sehr schätzte, weil es seltener geworden war, ihn aber dennoch immer beruhigte. Sie redeten über alles mögliche, das nichts mit ihrer Arbeit zu tun hatte; neue Rezepte, die Kouki ausprobieren wollte, kürzlich erstandene Dekopflanzen und deren Pflege, welche Hunderassen für sie infrage kämen und ob sie nicht lieber direkt in ein Tierheim gehen sollten. Für Ryouta hätte es ewig so weitergehen können, wenn ihr Gespräch nicht plötzlich von einem lauten Geräusch zu ihrer Linken unterbrochen worden wäre. Einen aberwitzigen Moment lang fürchtete er, überdimensional große Käfer würden sich ihren Weg durch den Mais schlagen, doch stattdessen waren es Sora, Nozomu und Kensuke, die durch die Pflanzenwand brachen und unter empörtem Protest zu Boden fielen. Mindestens zehn Sekunden lang waren sie alle zu überrascht, um sich zu rühren. Als er den ersten Schreck überwunden hatte, seufzte Ryouta allerdings laut und schüttelte den Kopf. »Sie haben es geschafft, einander zu finden, aber nicht den richtigen Weg. Faszinierend.« »Sie rühren sich nicht. Ob es ihnen gut geht?« Kouki war in die Hocke gegangen und musterte die drei Idols besorgt. Ryouta hingegen winkte ab. »Mach dir keine Sorgen, Kou, die überleben schon.« Damit stieg er über die am Boden liegenden Idioten hinweg, kraxelte durch das Loch, das sie in die Maiswand gerissen hatten und hielt Kouki seine Hand hin. »Lass uns gehen. Der Ausgang dürfte nicht allzu weit entfernt sein.« Kouki überlegte kurz - es gefiel ihm nicht unbedingt, seine Freunde ihrem Schicksal zu überlassen, aber wenn es wirklich schlimm um sie stehen würde, würde Ryouta sich anders verhalten -, griff dann nach Ryoutas Hand und stieg ebenfalls über die anderen. Ihnen würde bestimmt nichts passieren. »Du hast recht, lass uns weitergehen.« Nachdem er ihm geholfen hatte, war Ryouta bereit, Koukis Hand wieder loszulassen, doch der schien andere Pläne zu haben und hielt die Hand des anderen weiterhin fest umschlossen. Fragend hob Ryouta eine Augenbraue, worauf Kouki etwas verlegen lächelte. »Ist doch in Ordnung, oder? Zumindest, bis wir den Ausgang gefunden haben.« Auch Ryouta konnte ein Lächeln nicht länger zurückhalten und drückte Koukis Hand leicht. »Ich will ja nicht, dass du mir verloren gehst.« So setzten sie ihren Weg zum Ausgang des Labyrinths fort, wohl wissend, dass sie auch dann nicht von der Seite des anderen gewichen wären, wenn ihre Hände nicht verbunden gewesen wären. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)